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Fernsehkamera Tonmischpult Konzertaufzeichnung Objektiv an einer Fernsehkamera

Sprache

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So stehen Medien, Promis und Sprachexperten zum Gendern

"Bürger*innen", "Bürger und Bürgerinnen" oder schlicht: Bürger? Wer beruflich mit Sprache unterwegs ist, kam 2021 nicht am Thema Gendern vorbei. Wir haben unterschiedliche Positionen von Promis und Fachleuten zusammengefasst, von "schlechter Stil" bis "zeitgemäße Kommunikation".

Wohl kaum ein politisches Thema sorgt derzeit so verlässlich und anhaltend für Streit wie die zunehmende Ausbreitung des Gendersterns, der vom Zeitungsartikel bis zum Kundenbrief und vom Behördenformular bis zur Brettspielanleitung für Geschlechtergerechtigkeit sorgen soll.

Der Duden sorgte 2021 für Schlagzeilen, als er eine Version seines Online-Wörterbuchs vorstellte, aus dem er das generische Maskulinum verschwinden ließ.

Knapp 70 Prozent der größten Medien hierzulande geben an, bei ihrer Berichterstattung das generische Maskulinum zu vermeiden. Das hat das Magazin journalist erhoben, auf dessen Befragung 90 Redaktionen geantwortet haben. 62 Redaktionen achten laut Eigenaussage darauf, gendersensibel zu formulieren. Das Gendern mit Sonderzeichen oder Sprechpause ist dabei aber die Ausnahme.

Die Debatte um das Gendern gewinnt  kontinuierlich an Schärfe: Brauchen wir eine solch „geschlechtergerechte" Sprache? Können wir die Gleichberechtigung der Geschlechter vorantreiben, indem wir gendergerecht reden und schreiben?

Der Widerstand gegen das "Gendern" prägt auch die Wahl zum "Sprachwahrer des Jahres 2021". Die Kandidatenliste reicht von Dieter Hallervorden bis zum Bayerischen Rundfunk. Die Sprachzeitung "Deutsche Sprachwelt" ruft im Internet wieder zur Wahl der "Sprachwahrer" auf. Die Abstimmung endet am 31. Januar 2022.

Hallervorden: "Gendern ist schlechter Stil"

Der Schauspieler und Theaterintendant Dieter Hallervorden, der das Schloßpark-Theater in Berlin leitet, wendete sich in diesem Jahr gegen das Gendern: "Alles, was von Seiten des Theaters herausgegeben wird, wird nicht dazu dienen, die deutsche Sprache zu vergewaltigen." Er veröffentlichte das neue Album "80 plus" mit einem Lied gegen das Gendern: "Beim Gendern tun mir Mutter- und Vatersprache leid."

Hallervorden beklagte "eine Art Empfindsamkeitskult" in der öffentlichen Debatte. "Man weiß nicht mehr, welchen Slalom man verbal nehmen soll, um alle Fettnäpfchen gekonnt zu umrunden", sagte Hallervorden im Podcast "Die Wochentester" von Kölner Stadt-Anzeiger und RND. "Es fing an mit der Political Correctness, ging dann über in die Debatte über Frauenfeindlichkeit, bis hin zur Eliminierung von althergebrachten Ausdrücken wie Zigeunerschnitzel. Bevor es dann jetzt in die unsägliche Debatte übers Gendern einmündete." Das Gendern hält Hallervorden für "eine unökonomische Vergeudung sprachlicher Ressourcen. Es ist schlechter Stil, Bürokratendeutsch."

Der Bayerische Rundfunk hatte im Dezember 2020 beschlossen, weitestgehend auf das Schreiben und Sprechen von Gendersternen oder -doppelpunkten zu verzichten. Die Sprechpause erzeuge Irritationen bei den Zuhörern. Für das Jahr 2022 will die Geschäftsleitung jetzt neu entscheiden.

Sender sehen gesprochene Genderpause kritisch

Für die gesprochene Genderpause sind laut Magazin journalist nur wenige Medienhäuser offen, bei ProSiebenSat.1, RBB, ZDF und Deutschlandradio gibt es sie. Beim ZDF heißt es, man setze darauf, "dass die Beschäftigten auf der Basis der Freiwilligkeit verantwortungsvoll mit Sprache umgehen" und erwarte umgekehrt, "dass jene, die Kritik üben, allen, die gendern, respektvoll und tolerant begegnen, auch wenn es nicht ihrer eigenen Meinung entspricht". Sven Pietsch, Chefredakteur der Seven.One Entertainment Group, sieht Medienunternehmen hier in einer Vorreiterrolle, die man bei ihm im Sender nutzen wolle, "um zu sensibilisieren und Orientierung zu geben".

Unter den befragten schreibenden Medien haben sich nur Landidee und Instyle für das Binnen-I entschieden. Dafür bekomme man viel Zuspruch, heißt es aus der Instyle-Redaktion. Beim Spiegel gibt es in manchen Textsorten den Doppelpunkt, der Tagesspiegel stellt es seinen Autorinnen und Autoren frei, ob und wie sie gendern. Für Brigitte-Chefredakteurin Brigitte Huber bedeutet das Setzen des Gendersternchens, "zeitgemäß zu kommunizieren".

Medien: Gendern wird oft als politisches Statement gesehen

Manche Verantwortliche aus den Redaktionen beklagen in der journalist-Umfrage, dass Sonderzeichen und Sprechpause von Leser- und Zuhörerschaft mitunter missverstanden werden: "Die Gegnerinnen und Gegner empfinden das Gendern als politisches Statement vonseiten des Mediums und stellen damit oft die journalistische Unabhängigkeit der gesamten Berichterstattung infrage", sagt Roel Oosthout, Programmchef von Hit Radio FFH. "Das führt häufig dazu, dass das eigentliche Thema der Berichterstattung in der Diskussion über das Gendern verloren geht."

Zeit-Textchef Christof Siemes sagt: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Sonderzeichen im Zuge der Rezeption häufig vom eigentlichen Gegenstand eines Artikels ablenken und das Gendern selbst das bestimmende Thema wird." Sowohl bei Hit Radio FFH als auch bei der Zeit wird auf gendersensible Sprache geachtet, es werden aber in der Regel keine Sprechpausen beziehungsweise Sonderzeichen verwendet.

Bestseller-Autorin Anne Gesthuysen: "Entspannt euch"

Die Kölner Bestseller-Autorin Anne Gesthuysen plädierte für mehr Gelassenheit beim Thema Gendern: "Zu sagen, die Sprache wird durchs Gendern verhunzt, finde ich total absurd", sagt sie im Podcast "Talk mit K" des Kölner Stadt-Anzeiger. Sie finde es "selbstverständlich, dass junge Leute Sprache ändern wollen", so Gesthuysen weiter. Ich finde es auch richtig und bin sicher, es wird sich eine Form durchsetzen, die gangbar ist. Wir sprechen schon lange nicht mehr so, wie Goethe geschrieben hat. Sprache verändert sich."

Sprachwissenschaftlerin Nübling: Geschlechtersensible Sprache wichtig

"Eine Sprachpolizei gibt es nicht", betont Dr. Damaris Nübling, Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Wer nicht gendert, muss also keine Angst vor einer Strafe haben. Im Interview mit dem Magazin Reader's Digest erläuterte Nübling, warum es aus ihrer Sicht aber wichtig ist, sich geschlechtersensibel auszudrücken. "Unsere Sprache ist bisher sehr männlich geprägt", sagt sie. Zum Beispiel beim Ausdruck ,der Arbeiter von heute'. "Die meisten Versuchspersonen, denen man solche Begriffe vorlegt, stellen sich darunter mehrheitlich oder ausschließlich Männer vor. Das sogenannte generische Maskulinum funktioniert nicht, es unterrepräsentiert Frauen und schließt sie manchmal sogar aus."

Für Sternchen oder Doppelpunkt plus "innen" hat die Sprachwissenschaftlerin auch Alternativen parat: Eine andere Möglichkeit ist die Umschreibung. Statt "alle Teilnehmer" kann man "alle, die teilnehmen" schreiben. Doppelformen wie "Arbeiterinnen und Arbeiter" zu gebrauchen ist eine weitere Option. Oder man verwendet die sogenannten Präsens-Partizipien, wie "alle Teilnehmenden".

Autor und Komponist Payr zweifelt an gewünschtem Effekt des Genderns

Fabian Payr bezweifelt, dass politisch motivierte Sprachmodifikationen trotz ihrer Signalwirkung den gewünschten gesellschaftlichen Wandel bewirken. Der Komponist und erfolgreiche Autor von musikdidaktischen Lehrbüchern hat sich in einem Buch mit dem Gendern sowie Studien dazu auseinander gesetzt (Fabian Payr: "Von Menschen und Mensch*innen", Springer) und zeigt sich überzeugt:

„Mit dem Gendern demonstrieren seine Propagandisten vorrangig, dass sie sich ideologisch korrekt positionieren können. Dabei leisten sie allerdings der guten Sache einen Bärendienst, indem sie alle vergraulen, die dem Gendern wenig abgewinnen können."

Fabian Payr zweifelt an, dass traditionelles Deutsch tatsächlich, wie von der feministischen Sprachkritik behauptet, eine sexistische „Männersprache" ist, die Frauen systematisch in die Unsichtbarkeit drängt. Und er bezweifelt, dass eine gendergerechte Sprache den gewünschten Effekt hat: „Gegner des Genderns beklagen massive Eingriffe in gewachsene Sprachstrukturen, fühlen sich durch das ‚betreute Sprechen' bevormundet und kritisieren die moralische Aufladung des Diskurses durch Sprachaktivisten. Sie beobachten in vielen gesellschaftlichen Bereichen wie Verwaltungen, Behörden und Universitäten einen zunehmenden Zwang zum Gendern – und das bei einer nur geringen Akzeptanz dieser Sprache in der Bevölkerung."

Die von vielen als künstlich und schwerverständlich empfundene Sprache werde nicht selten als von oben verordnete Zwangsmaßnahme empfunden, so Payr. Kritisch ist er auch gegenüber  „psycholinguistischen" Studien. Payr hält sie für wenig aussagekräftig, während jene, die das Gendern befürworten, herauslesen, dass das generische Maskulinum vorrangig mentale Bilder von männlichen Akteuren hervorruft.

Fabian Payr ist Komponist und erfolgreicher Autor von musikdidaktischen Lehrbüchern. Er studierte Germanistik und Romanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Musik. Er war als Kulturjournalist tätig und gründete 1993 gründete  zusammen mit seiner Frau das Unternehmen Musica Viva, das Workshops im Bereich der Erwachsenenbildung ausrichtet.


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